Ein Eis für die Ewigkeit

Foto: Anette B.

 

Der Mann, der Dessertgeschichte geschrieben hat, steht in der Küche seiner Mannheimer Eismanufaktur und schlürft Sud aus einer Schöpfkelle. Einer seiner Gelatieri hat zuvor Birnen und frische Minzblätter in Zuckerwasser püriert, gleich wird der Mix in eine der großen Eismaschinen gefüllt, die surrend bei konstant minus 21 Grad kalte Köstlichkeiten fabrizieren.

Links fällt in breiten, cremigen Streifen Feige-Karamell in eine Schüssel, daneben Vanilleeis, rechts Schoko-Rum. “Wissen Sie”, sagt Dario Fontanella, “beim Eis ist es wie in einem Gourmetrestaurant – wenn die Zutaten stimmen, stimmt auch das Ergebnis.” Das Ergebnis hat bei Fontanella eigentlich immer gestimmt. Nur einmal, da lief die Sache nicht ganz so, wie sie hätte laufen sollen. Das war, als er das Spaghetti-Eis erfand.

Fontanella ist so etwas wie Deutschlands erster und vielleicht auch unkonventionellster Gelatiere. Wo andere Eishersteller eifersüchtig über ihre Rezepte wachen, legt der 59-Jährige den gesamten Produktionsprozess in der gläsernen Küche seines Eiscafés offen und gibt Auskunft über seine Zutaten. Die sind in der Regel ein wenig ausgefallener als Vanille oder Pistazie: Für den 1. FC Kaiserslautern, für die “Roten Teufel”, hat er zwei Eissorten mit Peperoncino entwickelt, “wegen der teuflischen Schärfe”.

Schokoladeneis gibt es kombiniert mit Rosmarin, Brandy oder glasierten Zwiebeln; alternativ aromatisiert er die Schokomasse auch mit Rosengeranie. Seine Kreationen stehen in der Galeria Kaufhof München im Eisfach, demnächst soll es eine Zusammenarbeit mit einem großen deutschen Obsthof geben: Fontanellas Manufaktur wird dann Äpfel, Birnen und Erdbeeren aus der Region verarbeiten und Bauernläden beliefern. Irgendwie geht halt immer irgendwas. Sein Vater Mario Fontanella war einer der ersten Gelatieri, die Anfang der 30er-Jahre in den Norden zogen, um die Deutschen italienische Eiskultur zu lehren. Der Sohn führt dieses Erbe fort.

Es ist wohl auch diese geschäftsmäßige Umtriebigkeit der beiden, die Ende der 60er-Jahre das Spaghetti-Eis entstehen ließ. “Damals fuhr ich Skirennen und war oft in verschiedenen Hotels in den Bergen unterwegs”, sagt Fontanella, der auch heute noch sportlich-schlank ist, das Marathonlaufen verbrennt die kühlen Kalorien. In einem Schweizer Hotel setzte man ihm einen Dessertklassiker vor: Mont Blanc. Pürierte Maronen mit Schlagsahne, gekrönt von einem Sahnehäubchen. Nicht nur eine Kalorienbombe, sondern meist auch schwer und kompakt. Doch diese Variante war so luftig, dass die Neugier des jungen Gelatiere geweckt war. “Ich fragte die Wirtin, und sie verriet mir, dass sie die Maronenmasse durch eine Spätzlepresse gedrückt hatte.”

Eine Spätzlepresse. Die Idee ging dem damals 17-Jährigen nicht mehr aus dem Kopf. Ob sich so auch Eis in eine federleichte Form bringen ließe? “Ich habe die Presse gründlich mit heißem Wasser ausgewaschen und Zitroneneis durchgedrückt – heraus kam nur Matsch”, erinnert sich Fontanella. Erst nach einigen weiteren Versuchen bemerkte er, dass das Gerät vielleicht besser kalt sein sollte. Erdbeer, Zitrone, Pistazie, das waren die drei Sorten, die als Erstes aus der heruntergekühlten Presse fielen. “Rot, Weiß, Grün, die Farben der Trikolore sollten es sein”, sagt Fontanella, der zwar in Mannheim geboren wurde, aber mit dem Herzen Italiener ist.

Seinem Vater fiel dann auf, dass das Eis wie Spaghetti aussah, und schlug vor, es mit Vanilleeis zu probieren. Das Erdbeerpüree, das gerade angerührt wurde, kam als Tomatensauce obendrauf, Kokosflocken imitierten den Parmesan. Es war der 7. März 1969, als Dario Fontanella und sein Vater in die Nachtischhistorie eingingen.

Es war die Zeit von Toast Hawaii, Mettigel und Götterspeise. Alles, was exotisch, bunt oder lustig aussah, kam gut an, das galt auch für die neue Kreation der Gelateria Fontanella. “Einige Kinder haben zwar anfangs geweint, wenn ihnen die Eltern Spaghetti-Eis bestellt haben – schließlich wollten die Eis und keine Nudeln”, sagt Fontanella. Aber ihm dämmerte trotzdem bald, dass er vielleicht mehr kreiert hatte als nur einen originellen Eisbecher.

Das Spaghetti-Eis trat seinen Siegeszug um die Welt an, finanziell aber hat sich Fonatellas Idee nie für ihn ausgezahlt. Wegen 900 D-Mark. An dieser Summe scheiterte das Patent für den künftigen Desertklassiker. “Das war damals eine Stange Geld, und der befreundete Anwalt, den ich gefragt habe, sagte: Was willst du denn daran patentieren lassen, kann doch jeder Eis in Nudelform servieren?” Was der Jurist vergaß: Zumindest den Namen hätte sich Fontanella schützen lassen können. Da war sie, diese Einmal-im-Leben-Chance – und vorbei. “Ach, meine Frau sagt immer: Weißt du, wozu das gut ist? Vielleicht hätte sich mein Einfall gar nicht so rasant verbreitet, wenn eine Gebühr dafür fällig gewesen wäre”, sagt Fontanella. Es klingt versöhnt.

Ihm bleibt der Ruhm, immerhin. Deshalb wohl macht der Mannheimer Gelatiere einen kleinen, stolzen Unterschied zu den Abertausenden von Eisdielen, die “sein” Spaghetti-Eis servieren: Bei Fontanella heißt der Nachtisch “Spaghetti-Eis 1969″ – und eine Fußnote in der Karte weist darauf hin, wer als Erster darauf kam, Vanilleeis durch eine kalte Spätzlepresse zu drücken.

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