Shaun das Schaf – ein mitfühlender Anarchist

In der vergangenen Woche hat Jana Simon im ZEIT-Magazin ihre dreijährige Tochter Nora über Shaun das Schaf befragt. Das war sehr niedlich und nett – geht für mich aber am Kern vorbei und wird auch nicht der Großartigkeit von Shaun gerecht. Eine Ergänzung. Achja, ich würde hier gerne ein Foto von Shaun zeigen, bin mir aber über die rechtliche Lage im Unklaren. Deshalb statt dessen dieser Link: www.shaundasschaf.de

Shaun das Schaf lebt auf einem Bauernhof, irgendwo in der Idylle eines namenlosen Landstrichs. Er ist der Held kleiner Geschichten, die sonntags in der “Sendung mit der Maus” gezeigt werden. Weil das eine Kindersendung ist und Shaun ein flauschiges Schaf, könnte man vielleicht meinen, dass es sich dabei um reine Kinderbelustigung handelt. Das aber wäre zu kurz gegriffen. Shaun das Schaf funktioniert auch als Unterhaltung für Kinder, aber ähnlich wie die Simpsons ist er mehr als das:

Shaun ist ein mitfühlender Anarchist.

Das ist eine gewagte These. Schaut man sich aber die einzelnen Figuren an, wird klar, dass sich in ihnen verschiedene Gesellschaftsschichten spiegeln: Da wäre zunächst der Bauer. Er steht für das Establishment, für die Bewahrung der gegebenen Ordnung. Der Bauer verfügt über die Machtmittel: Auto (Mobilität), Fernseher und Radio (Information) und Gewehr (Gewalt). Er hat einen Hund, den er zur Durchsetzung seines Willens einsetzt, etwa gegen die Schafe. Für ihn ist die Schafherde nichts anderes als eine gesichts- und gehirnlose Masse, Woll-Lieferanten, Viehzeug eben.

Der erwähnte Hund befindet sich in fast jeder Episode in einem Loyalitäts-Konflikt. Einerseits will er seinem Herrn treu dienen und wie ein zuverlässiger Soldat dessen Befehle ausführen – andererseits lässt er sich immer wieder von Shaun dazu hinreißen, gemeinsame Sache mit den Schafen zu machen, sich mit ihnen zu solidarisieren.

Wie schafft Shaun das? Eigentlich soll der Hund die Schafe ja überwachen und dafür sorgen, dass sie sich in ihre vorgesehene Rolle fügen: Dumm auf der Wiese stehen und Grashalme kauen. Shaun gelingt es aber immer wieder durch seine Kreativität, seinen Erfindungsreichtum und seinen Witz, den Hund von dieser Aufgabe abzulenken. Oder vielleicht besser gesagt: dessen Neugier zu wecken und ihn zu begeistern. Der Unterdrückte lehnt sich also nicht gegen den Unterdrücker auf, er spricht statt dessen das Beste in ihm an und schafft es so, ihn auf die Seite der Unterdrückten zu ziehen.

Shaun nutzt die daraus entstehenden Freiheiten aber nicht für sich alleine. Oft muss er als Klügster der Herde die anderen Schafe aus der Klemme befreien (und braucht dafür die Hilfe des Hundes). Fast immer geht es dabei aber darum, dass die Schafe nicht einfach Schafe sein wollen, zumindest will Shaun das nicht einfach hinnehmen. Er wehrt sich gewitzt gegen die bestehenden Verhältnisse und überschreitet (Standes-)Grenzen. Das zeigt sich vor allem auch daran, dass der Bauer trotz seiner Machtfülle am Ende sehr oft als tumber Depp da steht.

Wikipedia sagt, dass der Anarchismus jede Art der Hierarchie als Form der Unterdrückung von individueller und kollektiver Freiheit ablehnt. Deshalb ist Shaun das Schaf ein Anarchist. Mitfühlend ist er, weil er Verständnis für die Not seiner Mit-Schafe hat und versucht, diese zu lindern.

Wer hätte gedacht, dass wir in einer Kindersendung so viel über Gerechtigkeit, Freiheitsliebe und Solidarität lernen können – von einem Plüschschaf.

Shaun das Schaf tritt in der “Sendung mit der Maus” auf, ARD, sonntags, 11.30 Uhr.

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