Die Brücke

Erden, rund 2 Kilometer bis zur geplanten Brücke.

Wenn Stefan Justen vom Römerkelter erzählt, dann blitzen seine Augen hinter den dicken Brillengläsern. Das Kelterhaus ist Erdens ganzer Stolz. Anfang der 90er entdeckt man die antike Traubenpresse. Doch die Gemeinde steht vor einem Problem: Es fehlt das Geld, um sie zu erhalten. Also gründet Justen zusammen mit anderen Einwohnern einen Verein, der sich um den archäologischen Fund kümmert, seit 16 Jahren ist der Winzer  Vorsitzender. Ehrenamtlich.

Für das Dorf ist der Kelter auch deshalb so wichtig, weil er zeigt, wie lange der Ort und der Wein schon zusammengehören: Die Linie reicht zurück bis vor Christi Geburt, als Roms Legionen die Welt erobern, pressten Weinbauern an der Mosel Trauben, um daraus vinum zu gewinnen.

Stefan Justen steht in dieser Linie. 1974, 15 Jahre alt war er damals gerade, stieg er in den väterlichen Betrieb ein. Seine Hände erzählen von den Abertausenden Stunden der Arbeit, gewaltige Hände sind das, Pranken.

Er legt sie neben das Weinglas mit seinem Riesling.

Die Lagen, in denen auch Justen Land besitzt, waren Weinkennern schon immer ein Begriff. „Erdener Prälat“, „Erdener Treppchen“, „Wehlener Sonnenuhr“, Sommeliers in aller Welt führen sie auf der Karte. Inzwischen aber haben auch Leser der „New York Times“, Abonnenten der „La Stampa“ und Zuschauer des japanischen Fernsehens von den Weinbergen der Mittelmosel gehört.

Der Grund dafür ist gewaltig. 1,7 Kilometer lang, 158 Meter hoch. Der Hochmoselübergang. Eine gigantische Brücke, die die rheinland-pfälzische Landesregierung über die Mosel spannen will. Auf der offiziellen Informationsseite des Bauprojekts heißt es, nicht ohne Stolz, dass sogar der Kölner Dom unter ihr Platz finden würde.

In Erden ist der Kirchturm der höchste Punkt. Mit seinen 30, 35 Metern überragt er die kleinen Häuser, in deren Mitte er steht.

Erden. Ürzig. Zeltingen. Rachtig. Die Welt schaut auf eine Gegend, in der es immer nur um die Reben ging. Jetzt geht es plötzlich um große Dinge. Gefährdung einer Kulturlandschaft. Zerstörung eines Kulturguts. Die Brücke wirkt wie ein Scheinwerfer, in dessen Lichtkegel Menschen stehen, für die es ein Ereignis ist, wenn das Regionalfernsehen über das örtliche Weinfest berichtet.

Vor einigen Wochen haben sich Michael Stürmer, Joschka Fischer und Renate Künast mit den Weinpäpsten Stuart Pigott und Hugh Johnson getroffen und gegen die Brücke protestiert. Ein früherer Berater von Helmut Kohl, ein ehemaliger Außenminister und die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Das sind die Dimensionen, in denen sich die Geschichte inzwischen bewegt. Es kommen Mails aus Neuseeland, den USA, Schweden, Australien, Italien, Frankreich, Japan – und alle transportieren ein Gefühl: Entsetzen. Fast könnte man meinen, das Vorhaben bewege die Welt mehr als die Moselaner.

Ürzig, rund 1 Kilometer bis zur geplanten Brücke.

Die Weltöffentlichkeit hat eine Frau ins Spiel gebracht, die vor drei Jahren von London in die deutsche Provinz gezogen ist: Sarah Washington. Sie hat heimische Top-Winzer wie Markus Molitor, Ernie Loosen oder das Weingut Prüm ins Boot geholt und Mitte April den Termin mit Fischer und Künast in Berlin organisiert. „Ich wollte das Thema aus der Region rausbringen, das ist keine lokale Sache, es geht um eine Bedrohung für eine einzigartige Kulturlandschaft und einen einzigartigen Wein.“

2007 kaufte die Künstlerin zusammen mit ihrem Freund Knut Aufermann ein Haus in Ürzig. Damals, erzählt Aufermann, hätten die Dorfbewohner gesagt: Ja, der Hochmoselübergang, der werde schon ewig geplant, der komme eh nicht.

Jeder in der Gegend habe gedacht, dass das Land die Baukosten für Straße und Brücke von 270 Millionen Euro niemals werde aufbringen können. Doch dann wirkte sich die ganz große Politik bis ins kleine Ürzig aus; Lehman Brothers ging pleite, die Welt schlitterte in die Finanzkrise und die Große Koalition in Berlin legte das Konjunkturpaket auf. Plötzlich war Geld da, 250 Millionen. „Das Land hat seine Pläne wieder aus der Schublade geholt und sehr schnell angefangen, sie umzusetzen. Und die Leute haben gesagt: Jetzt kann man eh nix mehr gegen die Brücke machen.“

Widerstand flammte immer mal wieder auf, es gab schon in den 80ern eine Traktor-Demo der Winzer, während des Planfeststellungsverfahrens 1999 gingen 2300 Beschwerden von betroffenen Bürgern ein, später klagten einzelne Gemeinden. Doch niemals, sagt Sarah Washington, sei die Region aufgestanden und habe gesagt: Nein!

Vor einigen Monaten habe das Land die Ürziger zu einer Busfahrt nach Winningen eingeladen. Dort wurde Anfang der 70er eine Autobahnbrücke über die Mosel gebaut, 136 Meter hoch, direkt neben das Dorf. „Man hat den Ürzigern gesagt: Schaut, wie schön die Häuser hier renoviert sind, und es kommen nach wie vor Touristen, viel mehr sogar als 1970“, erzählt Knut Aufermann. Das stimmt. Doch die Bürgerinitiative „Pro Mosel“, für die er und Washington sich einsetzen, hat ausgerechnet, dass die Besucherzahl in Winningen sich deutlich schlechter entwickelte als in vergleichbaren Moseldörfern.

Aber solche Zahlen wollten viele Einheimische gar nicht hören. „Es kommt mir vor wie eine Variante des Stockholm-Syndroms“, sagt Aufermann. Wie bei einer Geisel, die irgendwann Sympathien für den Geiselnehmer entwickele, arrangierten sich die Dorfbewohner mit den Zielen der Landesregierung. „Oder schlimmer noch: Sie übernehmen die Argumente und verteidigen die Brücke sogar.“ Touristen aus Belgien und den Niederlanden, die schneller in der Gegend wären, weniger Lkw im Moseltal, Aufschwung – das sind die Vokabeln der Hoffnung, die die Politiker wie Mantren/gebetsmühlenartig wiederholen. „Die Leute hier haben so viel Angst. Angst, dass die Touristen wegbleiben, dass in zehn Jahren niemand mehr kommt, weil junge Leute die Mosel langweilig finden. Sie haben so viel Angst, dass die Brücke wie ein Strohhalm wirkt, wie ein Versprechen“, sagt Sarah Washington.

Aufermann und Washington sind der sich schlängelnden Straße durch die Weinberge gefolgt. Jetzt stehen sie weit oben über dem Fluss, die Dörfer liegen wie bunte Flecken in der Landschaft. Hier sollen in sechs Jahren die Autos über die Brücke fahren. Ein Kuckuck ruft, Vögel zwitschern. Der Blick fällt auf einige rötlich gefärbte Felsen weiter links, an denen träge die Mosel vorbeifließt. Dort wachsen die Trauben, die den Weltruf des Rieslings begründen. „Schon die Kelten haben hier Wein angebaut“, sagt Sarah Washington. „Warum denken die Leute nur an ihre eigenen kleinen Ziele und sehen nicht das Große? Das hier ist so viel größer als wir.“

Vielleicht ist es auch eine Frage des Blickwinkels. Für die Menschen an der Mosel sind die Steilhänge kein Naturwunder, sondern Arbeitsplatz. Der Riesling gibt den Familien hier seit Jahrhunderten Lohn und Brot. Doch das ist hart erworben. „Königin der weißen Reben“ nennt man die Traube auch, aber die Königin ist anspruchsvoll. Sie schätzt die steile Lage, weil sie dort mehr Sonne bekommt als im Flachland. Die Weinbauern jedoch können bei Steigungen von weit über 100 Prozent keine Traktoren einsetzen. Wer jemals eine Steillage bestiegen hat, ahnt die Mühen: Kaum finden die Füße Halt, der lose Schiefer rutscht, ein Bein stemmt sich gegen den Hang. Pflanzen, pflegen, ernten, in diesen Weinbergen ist alles Handarbeit, ist Schuften, Schleppen, Schwitzen.

Da mag es befremdlich auf die Einheimischen wirken, wenn sich ein britischer Weinjournalist auf die Anhöhe über Rachtig stellt und verkündet: „Wenn ich nur einen Weinberg auf der Welt retten könnte, dann wäre es dieser.“ Stuart Pigott hat diesen Satz bei einer Aktion der Bürgerinitiative gesagt – und ihn todernst gemeint.

Pigott kennt die Gegend, drei Jahre lang hat er in Bernkastel-Kues gewohnt, der Verbandsgemeinde. Eine Zeit, sagt er, in der er die Mosel lieben und die Moselaner kennen gelernt habe. „Es ist eine altmodische Ecke der Welt.“

Was Pigott meint, ist der zögerliche Generationenwechsel. Während in Rheinhessen um die Jahrtausendwende junge Winzer die Betriebe übernahmen, gibt es an der Mosel immer noch 70-jährige Winzer, die ihren 40-jährigen Söhnen erklären wollen, wie man Wein zu machen hat. Weinbauern, die in den 60er Jahren begannen, als Verbände und Politiker der Mosel empfahlen, doch mehr aus ihrem guten Ruf rauszuholen. Es waren die Wirtschaftswunderjahre, die Epoche des „Mehr“. Mehr Anbaufläche, mehr Hektoliter. Man vernachlässigte die berühmten Steillagen, denn im Flachen ließ sich ein größerer Ertrag erzielen. Man baute zusätzlich Müller-Thurgau und rote Trauben an, die weniger anspruchsvoll sind als der Riesling. Am Ende war Moselwein nicht mehr in aller Munde, sondern im Eimer, galt als billig-süße Plörre, als Omas lieblichstes Tröpfchen.

Wie man solch ein Image abstreift, hat der Chianti vor einigen Jahren vorgemacht: Strenge Qualitätskontrollen, Klasse statt Masse, gezielte Werbekampagnen. An den Biegungen der Mosel hat sich dieses Bewusstsein oft erst bei einigen Spitzenleuten durchgesetzt.

Stuart Pigott sagt der Region deshalb voraus, dass der schmerzhafte Schrumpfungsprozess der vergangenen Jahrzehnte anhalten werde: „Wir haben heute schon gut 3000 Hektar weniger als vor 20 Jahren und am Ende werden es 5000 oder 6000 Hektar weniger sein.“ Das sei ein Verteilungskampf und der führe auch zu Neid. „Wenn jetzt Lagen in Wehlen, Graach und Zeltingen bedroht sind, dann können Sie sicher sein, dass es in den Nachbardörfern heißt: Endlich kriegen die mal ihr Fett weg.“

Wehlen, etwa 3 Kilometer bis zur geplanten Brücke.

Dr. Katharina Prüm läuft keine Gefahr, für eine radikale Öko-Aktivistin gehalten zu werden. In ihren Ohrläppchen stecken dezente Perlen, zur hellblauen Bluse trägt sie ein dunkelbraunes Jacket. Dennoch habe sie keine Sekunde überlegen müssen, als es darum ging, sich gegen den Hochmoselübergang einzusetzen. „Ich habe nicht darüber  nachgedacht, ob ich in die falsche Ecke gestellt werde, schließlich geht es um unsere Weine. Außerdem haben wir uns die Brücke ja nicht ausgedacht.“ Wobei die studierte Juristin nichts dramatisieren will: „Natürlich wird man unseren Riesling in Zukunft noch trinken können. Aber ich will alles getan haben, um von meinem Wein Schaden abzuhalten. Wir müssen unseren Kindern ins Gesicht schauen und sagen können: Wir haben alles versucht, es zu verhindern.“

Dass sie heute so energisch für ihre Lagen kämpft, war nicht immer klar. 1998, nach dem Abitur, wollte Katharina Prüm raus aus dem Moseltal, weg von den Weinbergen und studierte in Münster. „Man behauptet nicht ganz umsonst, dass man im Tal den Horizont nicht sehen kann“, sagt die 31-Jährige. Doch mit dem Blick von außen erkannte die Winzerstochter die Vorzüge: Das Weingut Prüm exportiert nach Asien, in die USA, nach Australien, pflegt internationale Kontakte. „Außerdem arbeiten Sie in einer phantastischen Landschaft.“ Gerade diesen Reiz sieht die Juniorchefin durch die Baupläne bedroht. „Ich verstehe nicht, wie der Verkehrs- und Weinbauminister Hering immer wieder sagen kann, die Brücke hole mehr junge Menschen in die Gegend – solch ein Monstrum wird doch niemanden dazu bringen, sich hier niederzulassen.“

Dass das Thema die Moselwinzer trennt statt vereint, führt Prüm auf verschiedene Gründe zurück, auch sie glaubt, dass Neid einer davon ist. „Dann geht es wieder ‘reiche’ Winzer gegen ‘normale’ Winzer, Spitzenleute gegen den Durchschnitt.“ Aber die Juristin sieht auch ein Wertschätzungsproblem: „Im Bordeaux und an der Rhône sollten auch schon Schnellstraßen gebaut werden, aber das haben die Weinbauern zusammen mit den Regionalpolitikern verhindert.“ In Frankreich sei der Politik klar, dass der eigene Wein ein international anerkanntes Kulturgut ist. Den Anfang aber, glaubt Katharine Prüm, müssten die Winzer selbst machen: „Der Riss, der hier durch die Dörfer geht, den gibt es auch in den Köpfen der Weinbauern. Die einen haben ein Qualitätsbewusstsein, die anderen nicht.“

Erden, rund 2 Kilometer bis zur geplanten Brücke.

Es sind solche Sätze, die auch ein Risiko in sich tragen. Das Risiko besteht darin, dass sich die Fronten verhärten, dass ein Landstrich unversöhnt zurückbleibt – egal, ob die Brücke am Ende gebaut wird oder nicht.

Stefan Justen etwa sieht im Protest gegen den Hochmoselübergang den eigentlichen Schaden für den Ruf der Mosel. Da werde eine Gefahr für die Güte des Weins behauptet, die gar nicht bewiesen sei. „Die Kunden fragen sich doch, ob man unseren Riesling künftig überhaupt noch trinken kann.“ Und die Politik sehe, wie ihre jahrzehntelangen Bemühungen zunichte gemacht werden, die Region positiv darzustellen.

Ohnehin werde die Politik doch nicht in Erden gemacht, sagt Justen und rückt seinen schweren Stuhl ein Stückchen näher an den Wohnzimmertisch aus dunkelbraunem Holz heran.

Bewegen kann man hier anderes. Dem Förderverein des Römerkelters fehlt es bislang an Geld, um die Fundstätte täglich für Touristen zu öffnen.

Jetzt aber sieht Stefan Justen die Chance dazu. Das Gesetz schreibt vor, dass es ein Informationszentrum zum Bauprojekt geben muss. Dafür sucht der Landesbetrieb Mobilität nach einem geeigneten Ort – und der Verein hat sich mit seinem Gastraum beworben. „Die Aussichten sind nicht schlecht“, sagt Justen und lächelt. Dann könnte sich ein langgehegter Traum erfüllen: Mit den Mieteinnahmen werde man zwei 400-Euro-Kräfte einstellen und den Kelter endlich ordentlich präsentieren.

„Das hat ja nichts mit der Brücke zu tun – wir holen das Beste für Erden raus.“

Erschienen in Capital

 

 

 

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