Die Kunst des Investierens

Asien ist schwach. Und Peter Vetsch wundert sich. Was den Direktor des Art Forum Berlin so überrascht, ist der Umstand, dass kaum asiatische Künstler in der Capital-Rangliste der aktuellen Kunst-Aufsteiger vertreten sind.  „Vor wenigen Jahren noch wurde Kunst aus Asien als der kommende Trend verkauft“, sagt Vetsch. Dass dieser Hype nicht von Dauer war, liege möglicherweise daran, dass es etwa in China kein breites Mittelfeld von Kunstschaffenden gebe, sondern nur wenige Spitzenleute wie Ai Weiwei oder Fang Lijun. „Und es gibt in China keine Galerie-Tradition wie bei uns.“

Insofern ist es bezeichnend, dass der am höchsten eingestufte Asiate in den Top 50, der in Singapur geborene Ming Wong (Platz 9), inzwischen in Berlin lebt und arbeitet und von einer Galerie in der Hauptstadt vertreten wird. „Wir haben hier eine große Masse an Galerien, eine sehr lebendige Szene – und genau das ist die Eintrittskarte für einen Künstler, um auf Messen und in Ausstellungen zu kommen“, so Peter Vetsch.

Ausstellungen aber sind die Währung, mit der man es im von Artfacts und Capital erstellten Ranking weit nach oben bringt (siehe Kasten).

Wer sich für Kunst interessiert und investieren möchte, sollte sich die Liste genau anschauen. Wem nämlich das Kleingeld für die Namen fehlt, die ohnehin schon Spitzenpreise erzielen, findet hier Künstler, deren Stern gerade steigt.

Dass das nicht unbedingt nur der Nachwuchs sein muss, zeigt ein Blick auf die Deutschen. Sie bilden mit acht Vertretern die größte Gruppe in der Rangliste und stellen mit Wolf Kahlen sogar die Nummer eins. Kahlen hat in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag gefeiert, Arno Fischer, auf Platz fünf, ist 83, Sibylle Bergemann (Platz 31) 69.

Die Gründe, warum diese älteren Künstler eine späte Blüte erleben, sind unterschiedlich – und doch erkennt man Gemeinsamkeiten. So werden viele von ihnen von Museen und Kunsthallen wiederentdeckt. Das gilt besonders für den Video-Pionier Wolf Kahlen. „Ich war ganz einfach 20 Jahre lang weg aus der westlichen Kunstszene, weil ich mich mit Ostasien beschäftigt habe, ich bin durch Tibet gereist, durch China, auch durch Indien.“

Nachdem er 2005 als Professor für Intermediäre Kunst an der TU Berlin emeritiert wurde, habe er sich entschlossen, „Ordnung in meine Sachen zu bringen“ und sein Werk zu katalogisieren. Das Ergebnis war das Wolf Kahlen Museum in Bernau bei Berlin – und zahlreiche Ausstellungen in deutschen und europäischen Museen. „Ich war einer der ersten Video-Künstler der Welt, da ist es klar, dass Anfragen für Retrospektiven kommen.“ Allein 2010 habe es einen ganzen Block gegeben, unter anderem waren Kahlens Installationen aus Bildern und Tönen in Berlin, Breslau, Karlsruhe und im Museum Folkwang in Essen zu sehen.

Sibylle Bergemann und Arno Fischer, aber auch Ulrich Wüst (Platz 21) erleben eine ähnliche Renaissance. Und doch steht ihre Arbeit noch für zwei weitere Trends: Die wachsende Bedeutung der Fotografie und das Interesse an der Kunstszene der ehemaligen DDR.

„Viele dieser Namen werden erst jetzt richtig entdeckt“, sagt Petra Roettig, Kuratorin der Hamburger Kunsthalle. Das habe zum einen mit dem Jahrestag des Mauerfalls 2009 zu tun – zum anderen aber auch mit einer Neugier auf den Blick von der „anderen“ Seite. „Das gilt sowohl für ein westdeutsches Publikum, das spannend findet, wie zum Beispiel Ulrich Wüst den Wandel in Berlin-Mitte dokumentiert hat; aber auch für ein amerikanisches, das fasziniert ist von dieser ‘historischen’ Kunst, die uns die weniger bekannte Geschichte Deutschlands zeigt.“

So tourte etwa die Ausstellung „Kunst und kalter Krieg“, an der auch Sibylle Bergemann mitgewirkt hat, durch die ganze Welt, das Deutsche Historische Museum hatte sie ebenso im Programm wie das Los Angeles County Museum of Art .

Doch nicht nur diese Schau hat der Fotografin einen Platz im Capital-Ranking eingebracht. „Kuratoren und Besucher sind inzwischen so weit, die DDR-Fotografie in ihrer ganzen Fülle wahrzunehmen“, so Bergemann, die auch für ihre Bilder in der Ostberliner Modezeitschrift „Sibylle“ berühmt ist. Sie war selbst erstaunt über das große Interesse. „Wir hatten einen riesigen Publikumsandrang, die Leute waren sehr neugierig, wie Mode in der DDR gezeigt wurde.“

Ganz unabhängig von Ost oder West zeigt der Blick auf die Rangliste: Noch vor der Malerei ist die Fotografie das bevorzugte Medium, in dem sich die Aufsteiger künstlerisch verwirklichen. Top-Fotografen wie Candida Höfer, Thomas Ruff oder Andreas Gursky haben für eine Akzeptanz des Mediums gesorgt, die vor einigen Jahren noch undenkbar schien. Doch das ist nicht der einzige Grund, glaubt Petra Roettig: „Es gibt durch die Digitalisierung inzwischen viel mehr Möglichkeiten, sich in der Fotografie auszudrücken.“ Motive, die ein Künstler früher vielleicht gezeichnet hätte, ließen sich jetzt im Bild festhalten.

Für Wolf Kahlen wurzelt die Begründung sogar noch tiefer, in der Struktur der postmodernen Gesellschaft. Fotografierte Bilder, so Kahlen, seien in unserem Alltag ständig präsent. Die Museen zeigten deshalb letztlich nur, was dem Publikum als mediale Spiegelung der Wirklichkeit vertraut sei.

Ein populäres Medium. Retrospektiven. Die richtigen Themen. Das sind drei Gründe, warum es jemand in die Rangliste schafft. Wer in einen Geheimtipp investieren möchte, sollte auf jeden Fall aber auch auf eine gute Galerie achten. „Viele der Jungen denken, wenn sie irgendwo gezeigt werden, seien sie schon berühmt – ein Fehler. Eine schlechte Ausstellung kann einen auch beschädigen“, warnt Sibylle Bergemann.

So gesehen hat Alicja Kwade bisher alles richtig gemacht. Nachdem sie 2008 im Hamburger Bahnhof in Berlin ausgestellt wurde, wechselte sie zur renommierten Galerie Johann König. Zwei entscheidende Punkte für ihre Karriere, wie sie selbst sagt: „Nachdem ich die Ausstellung hatte, ist Johann König auf mich aufmerksam geworden, was wiederum bedeutet, dass ich jetzt zu den großen Messen komme, wo wieder jemand auf mich aufmerksam wird und so weiter.“ Erfolg sei eine Reihe von kleinen, beharrlichen Schritten, sagt die gebürtige Polin, die seit 23 Jahren in Berlin lebt.

Das gilt umso mehr, seit die Kuratoren durch die Finanzkrise noch weniger Geld zur Verfügung haben als zuvor schon. „Jenseits der künstlerischen Verklärung funktioniert das natürlich auch als Geschäft, wo man Durchsetzungsfähigkeit und Organisationstalent braucht, um am Markt zu bestehen.“

Für Alicja Kwade trifft das sogar besonders zu, denn viele ihrer Arbeiten sind großflächige Installationen, für die Stahl oder Holz in aufwändigen, teuren Verfahren bearbeitet werden muss. „Früher haben das die Museen teilweise mitfinanziert, heute muss ich schauen, ob meine Galerie sich beteiligt oder wie viel Geld ich selbst reinstecke.“

Vor allem mit Blick auf die Messen schafft Kwade auch kleinere Werke, „schließlich kann mein Galerist kein 30-Quadratmeter-Objekt an seinen Stand stellen“. Als Auftragsarbeit, weil ein Kunde gerade etwas Kleines fürs Wohn- oder Wartezimmer braucht, könne sie das aber nicht leisten, sagt sie. „So was muss sich ergeben.“ Derzeit ergibt es sich mit Zeichnungen und Tänzerinnen aus bemaltem Porzellan; man kann sich einen Kwade aber auch in Form eines Fotos an die Wand hängen, zwischen 2004 und 2006 entstanden einige Stadtansichten und Stillleben.

Und worin jetzt investieren? Im Ranking bilden Künstler aus Osteuropa einen kleinen Schwerpunkt, Rumänen wie der Fotograf Frank Stürmer, der Multimedia-Künstler Igor Grubic aus Kroatien, die polnische Zeichnerin Anna Molska. „Manchmal glaube ich, dass es auch schick es, junge Osteuropäer in der Ausstellung zu haben“, sagt Alicja Kwade, die in Katalogen gerne als „junge Polin“ verkauft wird, obwohl sie auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt.

Letztlich, empfiehlt Art Forum-Chef Vetsch, müsse man sich vieles anschauen, viele Galerien besuchen, viele Messen und Museen. „Und am Ende kauft man am besten aus einem guten Gefühl heraus. Die Beziehung zur Kunst sollte nämlich wie eine Ehe sein, nicht wie ein One-Night-Stand.“

Erschienen in Capital

 

 

 

 

 

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