Die Verführung des Knurps

Wie klingt ein dynamischer Keks, und wie hört sich ein Sahnejoghurt an? Auf jeden Fall ist der Sound kein Zufall und wird von vielen Herstellern bewusst genutzt. Denn das Ohr isst mit …

Knurps. Der Löffel Cornflakes verschwindet im Mund. Knusper. Knurps. Knusper. Ein geräuschvoller Start in den Tag gehört für viele dazu wie die Tasse Kaffee. Geschmack. Geruch. Aussehen. Das spielt natürlich auch alles eine Rolle – aber gerade bei einem Lebensmittel wie Cornflakes ist der Klang von entscheidender Bedeutung. Schließlich geht es darum, Frische und Qualität zu vermitteln, auch über das Geräusch, das die Maisflocken beim Essen machen. „Der Klang unserer Nahrung enthält Informationen, er zeigt an, ob etwas gut oder verdorben ist, nahrhaft oder nicht“, sagt Ercan Altinsoy vom Lehrstuhl für Kommunikationsakustik der TU Dresden.

Dass wir so stark darauf reagieren, wie unser Essen klingt, liegt teils in unserem evolutionären Erbe, teils ist es erlernt. „Früher konnte es überlebenswichtig sein zu hören, ob eine Frucht frisch war oder faul“, sagt Martin Hablesreiter, der zusammen mit Sonja Stummerer gerade das Buch „food design XL“ veröffentlicht hat. Ein heller Klang, also eine hohe Frequenz signalisiere uns unbewusst: „Frische“ – das gilt für den Apfel genauso wie für ein Brötchen. Andererseits dürfen manche Nahrungsmittel auch nicht zu hell klingen. „Ein tiefer, voller Ton vermittelt uns, dass wir in etwas Gehaltvolles beißen“, so Ercan Altinsoy. Deshalb gefällt uns das satte Crunchen und Knuspern von Cornflakes oder Müsli so gut, weil es uns anzeigt, dass wir etwas essen, das unserem Körper viel Energie liefert.

Leider achtet das Gehör dabei nicht darauf, ob wir wirklich Nahrhaftes oder nur leere Kalorien wie Zucker verputzen, ganz im Gegenteil. „Wir mögen intuitiv das Geräusch von Zucker in einem Nahrungsmittel, durch die Kristalle knirscht und kracht es in einer tiefen Frequenz“, sagt Martin Hablesreiter. Dazu passt das Ergebnis einer britischen Studie: Das Krachen von Chips sorgt für eine Endorphin-Ausschüttung im Gehirn; je knackfrischer die Chips waren, desto mehr wurde von dem körpereigenen Glücklichmacher produziert. Aber wie ermittelt man den perfekten Sound für Flakes und Keks? Marktführer Kellogg’s verweist auf das Betriebsgeheimnis.

Da ist man bei Bahlsen auskunftsfreudiger. Dort beschäftigt sich ein ganzes Team unter der Leitung von Steffen Weise damit, wie die verschiedenen Kekse der Marke klingen sollen; seit fünf Jahren sogar mit Unterstützung von Akustikforschern der Fachhochschule Düsseldorf. „Es geht darum, wer das Produkt kauft“, erklärt Weise. PickUp etwa, ein Snack aus Keks und Schokolade, solle jüngere Käufer ansprechen – und deshalb „dynamisch“ klingen“. Doch was ist das, ein dynamisch klingender Keks? „Das erzeugt man über größere Lautstärke, über ein starkes Knuspern, über das Knacken“, so Weise. Wie dick die Schokoladenschicht ist, ob grob- oder feinkörniges Mehl verwendet und wie der Teig aufgeschlagen wird, ist deshalb nicht nur eine Frage des Geschmacks, sondern auch der Akustik. Vanillekipferl, ein Produkt für eher ältere Keks-Freunde, müssen sich laut Weise weicher und harmonischer anhören. Um den passenden Keks-Klang zu ermitteln, lässt Bahlsen bis zu 120 Test-Knusperer zubeißen, jeder ausgestattet mit einem In-Ohr-Mikrofon, mit dem die Kaugeräusche aufgezeichnet werden.

Andere Klänge dagegen haben wir im Laufe unseres Lebens gelernt. Wobei sie uns nicht weniger prägen, wie ein Versuch des Sounddesigners Friedrich Blutner eindrucksvoll beweist: Blutner ließ das immer gleiche Wurstbrät in verschiedene Därme füllen und setzte die Würstchen Testessern vor. Am besten schnitt die Wurst ab, die beim Anbiss am lautesten krachte. „Das hat mit unserer Erwartungshaltung zu tun – ein Knackwürstchen muss nun mal knacken“, sagt Akustikforscher Altinsoy. Tut es das nicht, vergeht dem Verbraucher der Appetit. „In Österreich kam mal ein Brühwürstchen ohne Pelle auf den Markt, das fürchterlich floppte“, sagt Martin Hablesreiter.

Und auch die Verpackung eines Produktes wird nicht dem Zufall überlassen. Angelo D’Angelico entwickelt den Sound für Cornflakes-Packungen, Joghurtbecher oder Bierflaschen. Er weiß, dass er Erwartungen erfüllen muss: „Früher knackten Babybrei-Gläschen beim Öffnen, weil der Inhalt heiß eingefüllt wurde und so ein Unterdruck entstand.“ Ein Verfahren, das schon seit Jahren nicht mehr angewendet wird. Dennoch knackt das Gläschen nach wie vor. „Die Hersteller präparieren die Deckel dementsprechend – ganz einfach, weil dieses Geräusch für Hygiene und Sicherheit steht.“ Ein Babybrei, der beim Öffnen nicht knackt? Unverkäuflich, da ist sich D´Angelico sicher.

Der Berliner, der vorher als Tonmeister beim Film arbeitete, greift teilweise auf die gleichen Mechanismen zurück, die auch bei Nahrungsmitteln wirken. „Es geht um Gefühle – und Gefühle erzeuge ich, indem ich den Menschen unbewusst erreiche.“ So entwickelte er für eine Molkerei einen Joghurtdeckel, der beim Abziehen Appetit machen sollte, satt klingt, nahrhaft. Wie beim Keks oder bei den Cornflakes ging es auch bei dem Deckel darum, einen tieferen Ton zu erzeugen: Ratsch, nicht Ritsch. „Ich habe das über die Klebestellen gelöst; die waren etwas fester, dadurch entsteht beim Öffnen ein stärkeres Geräusch.“ Voilà, der passende Deckel für einen cremigen Sahnejoghurt. Bei der Light-Variante, sagt Angelo D’Angelico, müsste es unbedingt anders klingen. „Da muss ich dem Ohr gleich beim Aufmachen signalisieren: Jetzt wird’s leicht und luftig.“ Also: Löffel auf beim Löffeln.

Erschienen in der BRIGITTE

 

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