Mein erstes Mal: Aktmodell

Eigentlich wollte ich ja an die Akademie. Düsseldorf, Sie verstehen: Beuys, Penck, Richter. Die ganz große Nummer. Nackig machen und in die Kunstgeschichte eingehen. Aber es wird noch etwas dauern, bis ich neben Susanna im Bade und Emma hänge. Vorläufig: Volkshochschule, Köln. Denn auch für Aktmodelle gilt, dass man schneller zur VHS kommt als an die Kunstakademie.

Wobei das Prinzip das gleiche ist: Unbekleidet hinstellen, angucken lassen. Vor unbekleidet steht allerdings ausziehen. Und als ich in Kursraum 503 hinter einem Paravent stehe, Socken, Jeans und Pullover schon ordentlich neben mir aufeinandergestapelt und es jetzt ans Letzte, ans wirklich Allerletzte geht… Haben Sie sich mal von Ihren Freunden überreden lassen, auf der Kirmes in so ein mörderisches Fahrgeschäft zu steigen? Und jetzt sitzen Sie da, der Sicherheitsbügel hält Sie unentrinnbar fest, Sie schauen auf den Doppel-Looping vor sich und denken: Oh shit, warum hab ich mich bloß darauf eingelassen? Gut. Denn genauso fühle ich mich, als die fünf Kursteilnehmerinnen und mich nur noch dieser Paravent und eine Aussiebum-Boxershorts trennen. Weil aber Wieslawa Stachel ganz freundlich auf das Podest zeigt und sagt: „So, jetzt können Sie sich hinstellen.“, hole ich einmal tief Luft, ziehe die Shorts aus und steige auf das kleine Holzpodest in der Mitte des Zimmers.

Vorteil eins: Ich habe meine Brille hinter der Spanischen Wand gelassen. Mit minus sieben Dioptrien fällt es nicht allzu schwer, die Wirklichkeit ein bisschen auszublenden. Das hilft enorm, wenn man nackt vor fünf Frauen steht, die einen interessiert betrachten.

Vorteil zwei: Wieslawa Stachel, die den Kurs leitet, ist eine wirklich freundliche Frau. Sie hat in Krakau studiert („Im Osten wird noch wirklich wert auf handwerkliche Fähigkeiten gelegt“) und benimmt sich so, als stünde ich im Sommeranzug auf einer Gartenparty. Das hilft enorm, wenn man nackt vor fünf Frauen steht, die einen interessiert betrachten. Vor allem hilft es, dass einen fünf Frauen interessiert betrachten. Denn mir wird ziemlich schnell klar, dass ich zwar nackt – aber eben doch nur ein zu zeichnendes Objekt bin. Kein großes Ding. Frau Stachel erklärt an mir, dass meine Gesichtslänge sich achtfach in meinem Körper wiederfindet. Blöd nur, dass die Teilnehmerinnen dann anfangen zu diskutieren, ob meine Beine nicht doch etwas länger und meine Schultern nicht doch etwas schmaler als in der Idealproportion sind.

Schlimmer als Nacktsein ist dann auch das Rumstehen. 20 Minuten in der selben Haltung. Erst fangen die Waden an zu brennen, dann schmerzt der Rücken. Und schließlich soll ich  mir auch noch selbst Positionen ausdenken („Nehmen Sie einfach was aus Tanz oder Athletik“), in denen mich die Frauen innerhalb einer Minute skizzieren müssen. Fitness-Studio kann ich mir heute wohl sparen.

Hinterher sagt Wieslawa Stachel dann noch, dass sie sehr zufrieden war und ich gerne wiederkommen kann, wenn ich mag. Muss ich mir sehr überlegen – es gibt elf Euro für eine Dreiviertelstunde Akt stehen.

Erschienen in der Financial Times Deutschland


 

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