Mozart passt zu Plüsch

Koffer werden auf blitzenden Messingwagen hin- und hergeschoben, Gäste verlassen plaudernd den Lift, der Rezeptionist tippt Zimmerbuchungen in seinen Computer. Eine ganz gewöhnliche Hotelbetriebsamkeit im Hamburger Park Hyatt. Doch wer über das geschäftige Treiben hinweglauscht, hört im Hintergrund Flötenklänge und Streicher. Sie scheinen das Wogen eines Weizenfeldes zu beschreiben, durch das leise der Wind geht. Was da zu hören ist? Kathrin Schaffner lächelt verlegen und muss dann erst mal nachschauen gehen. »Delius, Serenade from Hassan«, sagt die Pressevertreterin des Hotels nach einem Blick auf das Display eines der iPods, die hinter einer Glasscheibe in einem Serverraum eingeschlossen sind. »Lobby« steht auf den kleinen Zetteln, die neben den MP3-Playern kleben, »Lounge« und »Restaurant«. Dass an diesem Frühsommertag der spätromantische Komponist Frederick Delius in der Lobby des Hotels erklingt, geht auf einen durchdachten Plan zurück.

Ersonnen hat ihn Mark Barrott. Der britische DJ und Produzent ist auf ein Geschäft spezialisiert, das vor allem in der Luxushotellerie zunehmend gefragt ist: Er verpasst Hotels ein musikalisches Konzept, das zum Image des Hauses passen soll. Ob im St. Regis in Rom, im Ritz-Carlton Peking oder im InterConti Berchtesgaden in vielen Häusern wird der Gast bereits von maßgeschneiderter Musik umspielt.

Eine Woche lang hat Mark Barrott im Park Hyatt Hamburg gewohnt und sich inspirieren lassen. Und anschließend mehrere Tausend Stücke auf die iPods überspielt, unterteilt in Playlists, die die Wirkung der Räume untermalen sollen. Während Delius in der Lobby auf das Pastellgrün der dicken Teppiche, das Kirschholzparkett und die dunklen Jugenstiltruhen abgestimmt ist, tönt die Stimme einer afroamerikanischen Soulsängerin durch die Park Lounge mit den cremefarbenen Vorhängen.

Doch was ist mit Gästen, die mit spätromantischen Flötentönen oder lässig eingeworfenen Trompetenakzenten nichts anfangen können? Denen sie möglicherweise ein Graus sind? »Die Musik muss natürlich dezent sein«, sagt Kathrin Schaffner. Sie soll Stimmungen erzeugen, begrüßen, zum Interieur passen. Nur eines soll sie nicht: die erste Geige spielen. Bestenfalls vermittelt Delius Serenade dem, der sie wahrnimmt, das angenehme Gefühl, dass in einem Sterne-Hotel wie dem Hyatt auch die Musik von ausgesuchter Qualität ist. Gleichzeitig muss sie überhörbar sein. Ein Spagat. Manchmal tönt es so dezent, dass man förmlich in die Deckenlautsprecher kriechen muss, um etwas zu hören. Noch stiller, um nicht zu sagen ganz still ist es nur noch in den Zimmern und Suiten. Dort allerdings kann der Gast seinen eigenen iPod an die Stereoanlage anschließen und die Queen-Suite je nach Gusto mit finnischem Hardrock oder Stefanie Hertel beschallen. Für die Gesellschaftsräume des Hyatt jenseits der Zimmertür wäre das natürlich recht gewagt.

»Musik muss die einen erfreuen und darf die anderen nicht verärgern«, sagt auch Michael Wildemann. Seine Hamburger Agentur bietet unterschiedliche Hotel-Klangkleider an, »vom Frühstücksraum der kleinen Pension bis zum Sterne- Quartier«. Sein Credo: Hotels müssen unterschiedlich klingen, und die Musik passt sich ihrer Umgebung an. Kommt es dann überhaupt darauf an, was der Gast hören möchte? Wildemann glaubt, dass umgekehrt eine Harmonie daraus wird: Was authentisch klingt, findet seine Gäste. »Wenn man Antikmöbel mit Rock kombiniert, wird sich der Gast nicht wohlfühlen.« So hat Wildemann klare Vorstellungen, was aus welchem Lautsprecher kommen sollte. Betören roter Samt und gediegene Plüschigkeit, rät er zu »leichter Klassik und nostalgischer Filmmusik«. Zum noblen Charme großer Häuser werden Mozart, Mendelssohn und Bach gereicht. Aber nicht zu laut, »gerade das ältere Publikum ist da sehr empfindlich«.

Mozart und Mendelssohn hört man im Side Hotel nicht. Zu kühlem Granit, bläulich-grün leuchtenden Glasflächen und puristischen Barhockern in Ketchup-Rot kriegt der Gast House auf die Ohren. Das Side, das sich als »einziges Fünf- Sterne-Design-Hotel in Hamburg« bezeichnet, geht auch bei der Musik einen anderen Weg. Zwar werden die öffentlichen Räume auch hier tagsüber von Loungemusik durchwabert von Donnerstag bis Samstag aber werden ab 19 Uhr die »Fusion Bar«, die Lobby und das angrenzende Restaurant von angesagten DJs mit Elektro-Pop und House beschallt. Darunter Lokalgrößen wie der kurdische DJ Metin, der bei Partys zusammen mit Kollegen auflegt, die so poetische Namen wie »Koma-Melek« tragen. Das Side will nicht nur Hotel sein, sondern auch Hotspot. Und das Konzept scheint zu funktionieren: Hier trifft sich die Szene.

So unterschiedlich die Konzepte von Hyatt und Side erscheinen, sie haben auch etwas gemein: Es geht um »musikalische Inszenierung«, sagt Carl-Frank Westermann und wenn er das sagt, klingt das nicht so nett. Wobei Westermann wohlwollend registriert, dass die großen Hotels sich immerhin schon mal Gedanken um ihre Musik machen und Konzepte entwickeln. Doch dem Mann, der unter anderem darüber grübelt, welche Klänge zu Unternehmen wie Lufthansa, eBay oder Allianz passen, geht das nicht weit genug. Häuser wie das Hyatt, das Interconti oder das Ritz müssten überlegen, was akustisch typisch für sie sei. Und damit meint Westermann keineswegs das Flappen der Drehtür oder das Bing der Rezeptionsklingel: »Das Ziel müsste es sein, dass man bei einer bestimmten Tonfolge sofort an ein bestimmtes Hotel denkt.« Diese Töne dann mit Klängen zu verquicken, die dem Gast unterschwellig Entspannung signalisieren oder Dynamik.  Westermann empfiehlt zum Beispiel verfremdete Naturgeräusche , das wäre die hohe Kunst der Hotelakustik.

Die Empfangshalle des Ritz, ein Windhauch? Die Bar des Sheraton, ein Wald in der Abenddämmerung? Das wäre ja nahe an dem, was sich viele Gäste insgeheim wirklich wünschen: Stille.

Erschienen in der ZEIT

 

 

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